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Jameln um 1900

  Fotos und Daten von  Michael Kablitz

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Vor einem halben Jahrhundert (1953) erinnerte sich der Heimatdichter Harry Hahlbom wehmütig an den 1938 verstorbenen "alten Fahrensmann Kraul" und legte ihm den Satz in den Mund:
"Nichts geht verloren im Leben."
Nun, Musikus Bernhard Kraul soll nicht vergessen werden. Wir setzen ihm hier ein Denkmal und beobachten dabei seine Herkunft und sein Dorf Jameln.
 
 

Bernhard Kraul etwa 1910 vor seinem Hof in Jameln.

Jahrzehnte später. Bernhard Kraul (Mitte) mit der Kapelle Kraul
in Breese im Bruche im Jahr 1933. (Links im Bild: Werner Kriel aus Platenlaase.)

 

Ein paar Sätze über die Ahnenreihe, die weit zurück bekannt ist:
 
 
Zu Zeiten der Lehensherrschaft durch Grafen und Freiherrn verfügte der Freiherr Grote in Breese im Bruche über die Höfe in Jameln. Als 1754 der Brinksitzerhof am Eingang zum Rundling (heute "Das Alte Haus") nicht mehr ordentlich bewirtschaftet wurde, setzte Freiherr Grote als neuen Besitzer Johann Diederich Kraul aus Breese ein, der 1758 die Jamelner Catharina Dorothea Fick ehelichte. Als Brinksitzer hatte er nur eine unwesentliche Landwirtschaft. Sein Hauptberuf war Leinenwebermeister, daneben ist belegt: Amtsmeister, Krüger und vor allem Musiker.


Das "Alte Haus"

 
Die große Bedeutung von Flachsanbau und Leinenweberei begegnet uns in allen Orten der Region.
Die Familie von Johann Diederich Kraul webte nicht nur selbst sehr feine Stoffe, sondern betätigte sich auch als Aufkäufer für die auf den anderen Höfen des Dorfes über den Eigenbedarf hinaus geschaffenen Stoffballen. Krauls fuhren die Produktion des Dorfes mit Pferdewagen zur Verschiffung in die Häfen.


Flachsbearbeitung in Jabel 1930.

 
Belegt ist hier besonders die weite Fahrt bis Hoopte bei Winsen/L., während sonst eher die Verschiffung über die Jeetzel und Elbe von Wustrow, Lüchow, Dannenberg und Hitzacker aus bekannt ist. Zur Vergrößerung von Weberei und Leinenhandel bauten die Krauls 1791 die "Weberkate" neben dem "Alten Haus".
Das Geschäft florierte einige Generationen, die wir jetzt überspringen.
 
Mitte des 19.Jahrhunderts, als viele nach Amerika auswandern, gelingt den Krauls weitere Vergrößerung. Sie bauen rechts außerhalb vom Rundling an der Ecke zur Landstraße Lüchow-Dannenberg einen "Aussiedlerhof" und ein Gasthaus. Die beiden ersten Kinder von Johann und Catrina Kraul sterben im Kindesalter. Der dritte Sohn, Carl geb. 1859, will Rechtsanwalt werden und studiert in Göttingen.
Als Erbe der großen Anwesen gibt er diese Pläne auf und führt in der Zeit um 1900, auf die wir uns jetzt konzentrieren wollen, das Gasthaus Kraul und alles was dazugehört. Er bleibt ledig.


Carl Kraul im Jahre 1907.


Ein Gemälde von 1867 zeigt das Gasthaus Kraul an der Hauptverkehrsachse zwischen Dannenberg und Lüchow. Bis 1911 verkehrt hier noch die Postkutsche mit Postillon.

Auf weiteren Seiten wird dieses Haus eine Rolle spielen.

 

Szene am Gasthaus um 1910
und Ausschnittvergrößerung.

 

Carl hat noch einen acht Jahre jüngeren Bruder Bernhard Kraul, geb. 1867, der nun unsere Hauptperson werden soll. Ihm stand als Jüngstem eigentlich nur eine übliche "Knechtrolle" zu. Es gelingt ihm aber 1891 also mit 24 Jahren, einen Kossaterhof am Eingang zum Rundling links zu erwerben.
In Bernhard lebt besonders das musikalische Erbe seiner Vorfahren.

 
Schon sein Vater hatte mit der Kapelle Kraul 1865 den Besuch von König Georg von Hannover durch das Wendland begleitet. Bernhard wird leidenschaftlicher Musiker und überträgt schon als Jugendlicher überlieferte Musikstücke auf Notenblätter und führt bald die Musikkapelle Kraul zu hohem Ansehen in der Region. Als reger und erfolgreicher Mann kann er ein neues großes Haus auf seinem Hof bauen und Luise Maatsch aus Langenhorst zur Frau gewinnen.


Bernhard Kraul vor seinem Hof mit den Kindern Else und Bodo. Aufgenommen um 1910

 
1898 soll die Hochzeit sein. Das Haus wird auch rechtzeitig fertig, aber dann scheint es ihm doch zu klein und er baut in aller Eile hinten noch eine Verlängerung von drei Metern an.
1899 wird die Tochter Else geboren und 1904 der Sohn Bodo. Bernhard sitzt oft nachts in seiner Stube im Schein der Petroleumlampe und zeichnet die Geschehnisse im Ort auf, wo er bei allen Vorgängen immer tonangebend "mittenmang" ist. Er betreibt seine Landwirtschaft, obwohl er als Musikus fast ständig unterwegs ist. ("Fahrensmann").

Die an ihn gerichtete Post von Gastwirten, Festveranstaltern und Mitgliedern seiner Kapelle enthält  bunt gemischte Titulierungen:

Hofbesitzer Bernhard Kraul
Musikdirektor B. Kraul
Kapellmeister Kraul
Musiker B. Kraul
Musikus Bernhard Kraul

 
Als im Jahre 1900 die Freiwillige Feuerwehr Jameln gegründet wird, übernimmt er die Funktion des Hauptmanns. Die Berufs- oder Standesbezeichnungen in der Liste der Gründungsmitglieder geben einen Einblick in die Erwerbsstruktur des Dorfes:
Musikus Bernhard Kraul, Hauptmann (Bildmitte)
Hofbesitzer und Gastwirt Friedrich Soetbeer, stellv. Hauptmann
Abbauer Heinrich Maatsch,
Abbauer Christoph Schultz,
Häusling Heinrich Behrens,
Schneider August Borchert,
Stellmachermeister Wilhelm Rieckens,
Häusling Christoph Möller,
Häusling Heinrich Schulz,
Häusling August Paarz,
Hofbesitzer Heinrich Hennings,
Abbauer Johann Borchert,
Dienstknecht Otto Meinecke,
Häusling Heinrich Labahn,
Tischlermeister Friedrich Schulze,
Haussohn Heinrich Möller,
Dienstknecht Heinrich Bothmer,
Häusling Heinrich Krüger,
Hofbesitzer Heinrich Tribian,
Maurer Johann Dibbert,
Hofbesitzer und Gastwirt Carl Kraul,
Häusling Fritz Burmester


Feuerwehrfest am 20. August 1905 in Jameln vor dem Haus von
Peters (neben dem "100-Taler-Haus"). Ein großes Fest mit Schauvorführungen und Jahrmarkt mit Karussell.

 


Ausschnittvergrößerung.

 
Auch manches Andere ist um die Jahrhundertwende noch nicht selbstverständlich. So wurden erst seit wenigen Jahren Molkereien gebaut. Bis dahin hat man nur auf den Höfen selbst gebuttert. Eine aufwändige Arbeit, meist von den Frauen ausgerichtet.
Es ist in gewisser Hinsicht eine innovative Zeit, in der  zahlreiche Genossenschaften für unterschiedliche Zwecke gegründet werden. In diesem Rahmen sind die Bauern auch zu Zusammenschlüssen für die Milchverarbeitung bereit. Die Nachbardörfer einigen sich auf Jameln als Sitz der  "Molkereigenossenschaft Jameln", die im Jahre 1893 ihren Betrieb aufnimmt.


Inbetriebnahme der Molkerei Jameln. 1893

 


 

Auf dem Foto ohne Datum zeigt sich die Familie und Belegschaft der Molkerei Jameln.
 


Luise Kraul, geb. Maatsch, mit Sohn Bodo.

Bernhard Krauls Familie, auf den Fotos im Sonntagsstaat, führt neben der kleinen Landwirtschaft insbesondere die Tradition des Leinenwebens fort.
 

Die Brüder, Gastwirt Carl Kraul und Musiker Bernhard Kraul, haben ein weit gespanntes Netz von Beziehungen in der Region und die Postkutsche bringt häufig Besuch aber auch zahlreiche Briefe und Karten.


Tochter Else Kraul

Bernhards Tochter Else sammelt sie alle und steckt sie säuberlich in ein Album. Als eine der ersten findet sich darin diese Erinnerungskarte von einem Treffen der Gastwirte aus dem Raum Dannenberg:
 

Verein der Gastwirte Dannenberg und Umgebung 1907.
Zu dem Foto sind folgende Namen belegt:
In der oberen Reihe steht als zweites Paar von links Gastwirt Franz Maatsch mit Frau. Sie betrieben das Hotel "Zur Alten Post" in Dannenberg.
Oben rechts steht Ehepaar Schulz vom zweiten Gasthaus in Jameln, das später unter dem Namen Soetbeer geführt wird.
In der mittleren Reihe stehen ganz rechts August Stahlbock und Frau aus Gusborn. Für das Paar hinter dem Schild heißt es nur "Splietau und Frau".
Vorne links Heinrich Albrecht mit Frau aus Dannenberg. Daneben sitzend, ebenfalls aus Dannenberg, Gastwirt Stahlhut mit Frau. Sie hatten ein Gasthaus "An der Thielenburg" mit kleinem Park. Dort ist das Foto gemacht. Ganz rechts am Tisch sitzt der ledige Carl Kraul.
 
Es spricht sich bald herum, dass Fräulein Else Kraul Ansichts-karten sammelt, und deshalb erhält sie selbst nicht nur von ihren Freundinnen Post. Manchmal heißt es auf der Karte lediglich:
"Für deine Kartensammlung."

Oder: Eine Einladung zum "Kränzchen-Reiten" in Gollau. "Grüße vom Gallusmarkt in Dannenberg". Eine andere: “... Ich wäre sonst zum Markt gefahren, aber es war ja kein gutes Wetter.“

 
 Später dann auch: "Kommst du zum Kriegerfest in Lüsen?"
 
Die Kriegervereine stehen hoch im Kurs.
"Mit Gott für Kaiser und Reich" steht auf der Fahne der Ortsgruppe Jameln des Hannoverschen Kriegervereins (1912-1933). Bei der Konkurrenz in Breselenz steht Ähnliches auf der Fahne. Aber die Differenzen sind nicht zu übersehen. Die Breselenzer marschieren mit dem Preußischen Kriegerverein.
Die Kapelle Kraul bläst für beide Vereine die Marschmusik.
Gesamtansicht der Fahne
1913 finden überall 100-Jahrfeiern zum Sieg über Napoleon statt. Ganz besonders auch in Dannenberg zum Gedenken an die Göhrdeschlacht. Zu den Reden spielt die Kapelle Kraul und das wird sich etwa so angehört haben: Ton  Aus großer Zeit, 1913 .  (Das Datum war passend geeignet zur propagandistischen Vorbereitung des Ersten Weltkriegs. Die aussagekräftige Originalaufnahme wird vom Deutschen Historischen Museum, Berlin auf www.dhm.de/lemo/ zur Verfügung gestellt).
 
Häufig tingeln kleine Schauspielertruppen durch die Dörfer und gastieren in den Sälen der Gasthäuser. Bei diesem nicht näher bezeichneten Foto aus Jameln könnte es sich um Schauspieler handeln. Keine der Personen ist den Chronisten bekannt. Dies ist aber eine gewagte Vermutung und wir hoffen, klärende Zuschriften zu erhalten.

Vergrößerung

 
 
Wir werden in den Dreißiger Jahren wieder einen Blick auf Jameln werfen.
Die Tour führt zu einem großen Hof in

Wibbese.

 

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