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1945 bis
1949 Grabow
Trauer -Verdrängung - Feiern - Männer suchen - heiraten
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Lydia
erzählt:
"Nun war der Krieg zu Ende. War Trauer, aber in vielen auch große
Freude. Die Soldaten kamen so nach und nach aus der Gefangenschaft.
Sie und auch die jungen Mädchen wollten nun tanzen und feiern. Bei den
Gastwirten, die einen Saal hatten, war jetzt Musik und Tanz. Vorerst
gab es noch keine Musikkapelle. In Platenlaase, wo ich hinging,
machten Heinz und Dieter Kulow mit der Quetsche Tanzmusik. Sie waren
auch gerade aus der Gefangenschaft gekommen. Später spielte die
"Goldene 5". Weil es keinen Alkohol gab, wurde nun selbst Schnaps von
Zuckerrüben gebraut. Der war sehr stark und schmeckte ganz eklig.
Darum machten wir Mädchen davon Eier- oder Pfefferminzlikör. Um den
runter zu kriegen, hielten wir uns trotzdem noch die Nase zu. |
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Dreimal in der Woche war Musik und Tanz.
Um sieben Uhr zogen wir jungen Leute alle zusammen zu Fuß los. Das
Schlimmste war nur, wir hatten nicht viel Zeit. Um 10:00 Uhr mussten
wir wieder vom Saal und von der Straße sein und wir konnten uns nicht
vom Tanzen trennen. Sahen wir ein Auto kommen und erkannten Engländer
im Jeep, sprangen wir rein in den Graben und versteckten uns hinter
einem Busch. Wenn es im Winter gefroren hatte und wir auf der Straße
nicht vorwärts kamen, nahmen wir unsere Schuhe in die Hand und
rutschten auf Strümpfen nach Hause, dabei gingen uns die
Seidenstrümpfe kaputt und bekamen so viel Laufmaschen, dass wir sie
nicht mehr anziehen konnten. Mama musste nun wieder Speck gegen
Seidenstrümpfe mit Naht tauschen. Die waren todschick. |
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Auch für Kartoffeln gab es einiges. In den Großstädten, bei uns waren
die nächsten Hamburg und Berlin, waren die Lebensmittel und die Kohlen
sehr knapp.
Um zu überleben, kamen die Großstädter in überfüllten Zügen mit
Heringen, Seidenstrümpfen, Kleiderstoffen, Tischdecken und so weiter.
Diese Tauscherei wurde von den Bauern ausgenutzt und ging oft nicht
mit rechten Dingen zu. Wenn das auch hart war, das Leben ging weiter." |
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"Die Männer wollten den Krieg vergessen und die Mädchen mussten auf
Draht sein, um einen Bräutigam ab zu bekommen, denn zu viele junge
Männer waren im Krieg geblieben. Obwohl alles so knapp war und uns von
den Engländern auch noch die Stromsperre aufgelegt war, nahmen die
Vergnügungen kein Ende.
In der Landwirtschaft gab es nun eine Hilfe bei der Arbeit von den
Landsern. Das waren die Soldaten, die aus der Gefangenschaft kamen und
kein Zuhause hatten. |
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Auch
wurden die Uhren zurückgestellt. Morgens, wenn man aufstand und kein
Licht angemacht werden durfte, kamen die Stalllaternen wieder zur
Geltung. Nun wurde früh in der Küche und anderswo mit der Funzel
gewirtschaftet. Wer keine Stalllaterne hatte, half sich mit Kerzen.
Überall war der "Kohlenklau" angeklebt. Das war ein kleines Männchen
und sollte uns ans Stromsparen erinnern. |
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Der Prachtbulle bei Dragoner-Schulz |
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Große Hochzeiten und Kindtaufen wurden auf dem Lande gefeiert mit
all dem eingetauschten Kram.
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Wo die jungen Bauern im Krieg gefallen waren und noch ein Mädchen
auf dem Hof war, heirateten die jungen Flüchtlingsbauernsöhne ein.
Überhaupt gab es nun viele Ehen zwischen Hiesigen und
Flüchtlingen. Bei den meisten gab es Ärger durch die hiesigen
Eltern. Sie sagten zu ihren Töchtern: "Den könnt ihr nicht
heiraten. Der hat keine Hose auf dem Hintern." Das hieß so viel wie:
Der ist viel zu arm. Doch es lief sich alles zurecht." |
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Zu der
Vergnügungswelle kam die Fresswelle. Zu den Festlichkeiten und
kleinen Partys musste so viel angerichtet werden, damit alle satt
wurden. Es wurde gemampft, bis nichts mehr reinging. Nach der
Fresswelle kam die Kaufwelle.
Inzwischen war 1948 die Währungsreform. Jetzt
gab es statt Reichsmark die sehr beliebte DMark. Plötzlich war in
den Geschäften alles zu haben.
Nun war das Geld natürlich knapp.
Die Bauern konnten sich keine Bediensteten mehr leisten und mussten
nun alles selber machen. Auch die ganze Feierei war reduziert. Nun
kostete es Eintritt und es durften keine Flaschen Alkohol mehr
mitgebracht werden. Die Lebensmittelmarken wurden abgeschafft. Es gab
aber Arbeit für alle: hauptsächlich für den Wiederaufbau. |
Bahnhof Grabow |
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Viele
Flüchtlinge zogen in den Westen. Dort gab es Arbeit in den Fabriken
und auch in Kohlengruben und im Baugewerbe. Und weil alle Arbeit
hatten, wurde auch gekauft und angeschafft, was einem Freude machte."
"Deutschland blühte auf, es wurde das Wirtschaftswunderland unter dem
Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Als nun alle wieder alles hatten und auch
reichlich zu essen, kam die Diätwelle, die bis heute angehalten hat."
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Das war jetzt ein großer Zeitsprung und wir haben gar
nichts mehr von Dieter gelesen. Wir erwarten noch eine Fortsetzung.
Zwei Jahre lang ließ Lydia eine Reihe standesgemäßer Verehrer, die
von ihren Eltern bevorzugt wurden, früher oder später abblitzen. |
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Sie hatte Dieter nicht aus dem Kopf verloren.
Dieter hatte eine Müllerlehrstelle in Beutow angenommen. Er hatte
keine Möglichkeit, den Schulabschluss der Oberschule, die er in
Neukloster hatte abbrechen müssen,
nachzuholen.
Lassen wir Lydia noch erzählen, wie es zum Happy End kam: |
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Eines Tages kam Dieters Mutter zum
Einkaufen. Ich kannte sie schon lange, sie lebte bei ihrer Schwester
Doris Meine in Platenlaase und kaufte immer bei uns ein. Sie sagte:
„Mein Sohn braucht noch eine Begleitung zum Landwirtschaftsball.
Würden sie wohl dazu kommen?“ „Ja, sicher. Das würde ich gerne!“
Schon am nächsten Tag kommt Dieter und lädt mich ein. Ich bin ganz
erstaunt, dass er mich einlädt und sage: „Ich denke dein Bruder
Heinz ist im landwirtschaftlichen Verein.“ „Ja, klar, aber ich bin
von ihm eingeladen und mir fehlt die Begleiterin.“ Ich habe mich sooo gefreut, ob er´s gemerkt hat, weiß ich nicht. Dieser Ball war
in Clenze. Dieter und ich wollten uns in Beutow mit dem Fahrrad
treffen. Unser Laden war mal wieder gerammelt voll und ich kam nicht
weg. Da kam eine Kundin aus Beutow: „Lydia, Dieter wartet schon im
Rott!“ Und Elfriede: „Mach, dass du loskommst!“
Von da an, es war am 4. Juli 1948, haben wir uns versöhnt und nie
mehr getrennt. Beim Radfahren küssten wir uns. Es war als wären wir
nie getrennt gewesen. Wir spürten, wir gehörten zusammen. In der
Clenzer Mühle angekommen, wo der Ball statt fand, stellten wir fest,
dass wir nichts zu trinken mitgebracht hatten. 1948 gab es noch
keine Getränke beim Gastwirt. Also kehrten wir kurz entschlossen
nach Gureitzen zurück, wo uns meine Cousine Anita eine Flasche
selbstgemachten Eierlikör schenkte. Es war ein schönes Fest. In der
Nacht fuhren wir mit dem Fahrrad wieder nach Hause." |
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Das Grammophon spielt noch.
TonNach diesen Klängen können wir davon ausgehen,
dass die Spur fortgesetzt wird. |
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Der Winter 1946/47 unterbricht das viele Feiern (in den
Erinnerungen) durch große Kälte und Hochwasser. Die Elbe breitet
sich in der Jeetzelniederung aus. Dannenberg steht unter Wasser.
Der lebendige Bericht von Meinhard K. über dieses Hochwasser mag auch
zum Verständnis der späteren Maßnahmen beitragen.
Hochwasser in Dannenberg 1947
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(Seite erstellt 2005) |