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Ein Belgier sucht nach 60 Jahren seinen Vater.
Displaced Persons: Flamen in Lüchow 1944/45
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Eine wenig bekannte Flüchtlingsbewegung kommt in der folgenden
eindrucksvollen Geschichte ins Blickfeld.
In der Chronik der Stadt
Lüchow ist in einem kurzen Satz von Flamen in Lüchow die
Rede (1945). Warum waren belgische Familien in dieser Zeit in Lüchow im Hotel
Krone untergebracht? Was ist aus ihnen geworden?
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Ich erhielt folgende Mail aus Belgien:
"Von September 1944 bis Mai 1945 war meine Mutter
mit ihren drei kleinen Söhnen in Lüchow. Sie war dort als Frau eines
flämischen Freiwilligen der deutschen Wehrmacht. Können Sie mir etwas
über das Hotel Krone in Lüchow mitteilen, denn dort lebten wir eine Zeit
mit unserer Mutter? Ich bin jetzt 66 Jahre und weiß über meinen Vater
nur, dass er ein deutscher Soldat war, der in Roeselare im flämischen
Teil von Belgien im März 1942 stationiert war."
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Spontan fiel mir jener Text in der Chronik ein, den ich als erste
Antwort mit dem Foto senden konnte: |
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"Am 15. April, nachmittags um 16.30 Uhr, ertönte in Lüchow Alarm; im
"Hotel zur Krone" war Feuer ausgebrochen, und zwar unten im Scheunenraum
neben dem Mahnkopfschen Haus. Flamenkinder hatten mit Streichhölzern
gespielt und dort liegendes Stroh in Brand gesteckt. Das Feuer breitete
sich sehr schnell über das ganze Haus aus. Da aus den Hydranten kein
Löschwasser entnommen werden konnte, weil die elektrische Stromleitung
stillgelegt war, musste die freiwillige Feuerwehr mit ihrer Motorspritze
das Löschwasser aus der Jeetzel herbeipumpen. |
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(Wenige Tage danach (am 22.4.) besetzten die Amerikaner Lüchow.)
Herr Gillijans schrieb mir daraufhin seine Geschichte ausführlicher und
mit dieser Veröffentlichung hoffen wir nun, Antworten auf seine Fragen,
besonders seinen Vater betreffend, zu erhalten. Er bedankt sich für das
Foto und schreibt dann (frei übersetzt aus dem Französischen): |
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"...
Was den Feueralarm angeht: Es war mein eigener, ältester Bruder
(zu dieser Zeit 5 Jahre alt), der dafür verantwortlich war. Aus
Sicherheitsgründen(?) wurde er nicht angezeigt.
Soweit ich das verstanden habe, gehörten wir zu einer vielleicht großen
Gruppe flämischer Flüchtlinge, deren
Ehemänner in der Waffen-SS oder wo anders engagiert waren.
All diese Personen flohen vor den alliierten Truppen, die am 1. 9. 1944 in die Region von Roeselare-Menen,
Belgien, einmarschierten.
Die Familien flohen, weil sie als
Kollaborateure angesehen wurden. Mit der Hilfe von Fluchthelfern
gelangten wir zunächst nach Köln und dann nach Lüchow.
Warum Lüchow? Vielleicht, weil es in der Nähe von Lüneburg liegt?
Wir wurden am 22.6.1945 zurück nach Belgien gebracht.
Registration Record G 08356502,
Gillisjans, Marie-Louise (Vanlerberghe).
Unsere Mutter hat uns nicht viel über den vergangenen Zeitabschnitt in
Lüchow erzählt, denn sie hatte nach dem Krieg sehr viel Ärger mit der
belgischen Justiz. |
Marie-Louise Gillisjans |
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Wir, die 3 Kinder, wurden zu Pflegefamilien oder ins Kinderheim
gebracht bis 1950/51.
Mittlerweile hatte sich unsere Mutter dazu entschlossen, über alles,
was den Krieg betraf, uns gegenüber zu schweigen.
Ich habe später, gegen 1966, verstanden, dass mein Vater ein deutscher Soldat (Offizier oder Unteroffizier)
bei
der Wehrmacht gewesen ist, der in Roeselare stationiert war.
Weil der Ehemann meiner Mutter, in der Waffen-SS engagiert, an der
Ostfront (Russland) war, kam er nur selten zurück nach Belgien ...
Es war nach dem Tod meiner Mutter (2002), als ich einige Postkarten aus
der Stadt Lüchow, darunter eine in Sütterlin geschriebene von einer
gewissen Irmgard Drebing fand.
Ich habe herausgefunden, dass diese Karte an einen gewissen Mr Heini
Bauseneick gesandt wurde. Die Deutsche Dienststelle (WASt) in Berlin hat mir einige
Auskünfte in seiner Sache gegeben. Geboren am 9.8.1907 in Klennow (Dannenberg),
Untersturmführer der SS-Polizei.
Er beging Selbstmord am 9.4.1945 in Ahlten.
Ich erhielt auch eine Kopie seines Wehrpasses.
Ich weiß nicht, warum meine Mutter diese Karte hatte. Und ich frage
mich immer, ob sie diesen Mann in Belgien gekannt haben mag oder
nicht. |
Frau Gillisjans mit ihren Kindern |
Ich bin immer noch auf der Suche nach meinem Vater, aber weil ich keinen
Namen weiß, hoffe ich zu erfahren, welche deutsche Einheit den Posten in Roeselare
inne hatte.
Meine Mutter besaß ein Café in der Nähe des Bahnhofs, und eine
deutsche Einheit
befand sich in der Nähe dieses Cafés: Die Heeres Verpflegungsstelle.
Das ist alles, was ich weiß." |
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Zusammenfassung:
Wie auch in den anderen von den Nationalsozialisten besetzten Ländern
gab es in Belgien Menschen, die mit der Ideologie der Besetzer
sympathisierten und es gab Männer, die freiwillig zur deutschen
Wehrmacht gingen und dort in einer speziell zusammengestellten Einheit
der Waffen-SS (Legion Flandern) eingesetzt wurden. Als die Alliierten im September 1944
Belgien von den Deutschen befreiten, flohen viele Kollaborateure und
Familien der Legionäre nach Deutschland. Dazu gehörte auch
Marie-Louise Gillisjans aus Roeselare mit drei Kindern. Der 1942
geborene Sohn Christian geht davon aus, dass sein Vater nicht der
belgische Ehemann ist, der bei der Waffen-SS war, sondern ein
deutscher Offizier, der bei einer Besatzungseinheit in Roeselare
stationiert war. Über diesen Vater sucht er Informationen.
Welche Einheit der Wehrmacht stand in Roesalare?
Hat Heini Bauseneick aus Klennow etwas damit zu tun?
Wer war Irmgard Drebing?
Wer kannte die belgischen Familien in Lüchow und in den umliegenden
Dörfern? |
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Antworten bitte per
Mail an den Webmaster.
Gern auch auf Französisch. Dazu hier das Originalschreiben von Herrn
Gillijans: |
Weitere Einzelheiten erzählt der Bruder Claude Gillisjans:
"Im Hotel Krone war noch eine Familie Pieters aus
Belgien mit zwei Mädchen. Ich war 5 Jahre alt und die Mädchen Nini und
Rosette ein wenig älter. Sie spielten Kochen und hatten einen kleinen Herd.
Dazu braucht man Feuer und deshalb habe ich Streichhölzer geholt. Das Feuer
wurde etwas zu groß und da hab ich noch draufgepinkelt. Aber das reichte
nicht zum Löschen.
Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter sagte, ich solle von den
Streichhölzern nichts zu Frau Becker sagen. Die war nicht gut auf meine
Mutter zu sprechen. Sie war eifersüchtig, weil meine Mutter eine schöne Frau
war. (Webmaster denkt sich: Das passt! Siehe obiges Foto.).
Wenige Tage später kam ich eines Morgens aus dem Haus
und da war ein Offizier. Ich grüßte mit "Heil Hitler!". Aber es war ein
amerikanischer Colonel und er sagte streng: "Das
sagt man jetzt nicht mehr!"
Dann weiß ich noch, dass wir mit einem amerikanischen Flugzeug zurück nach
Belgien geflogen sind.
Mein Vater, also der Ehemann meiner Mutter, war verwundet und wurde mit
verwundeten russischen Soldaten nach Belgien geflogen. Er hatte aber seine
deutsche Uniform gegen Jacke und Hose eines toten französischen Soldaten
getauscht. Bei der Ankunft des Flugzeugs spielte eine Armeekapelle die belgische
Nationalhymne. Als er im Lazarett neben den russischen Soldaten lag,
erkannte ihn aber ein belgischer Widerstandskämpfer und er wurde in ein
Gefangenenlager überführt und 1946 als Kollaborateur zum Tode verurteilt.
Das Urteil wurde auf lebenslängliche Zwangsarbeit geändert. (Nur bei
verurteilten Kriegsverbrechern wurden solche Urteile tatsächlich
vollstreckt.) Als 1949 der Kalte Krieg begann, gab es eine Amnestie für
diejenige, die gegen Russland gekämpft hatten, und er wurde entlassen. Er starb 1978 an einer Krankheit.
Louis Gillisjans, der Bruder meines Vaters, hat sich ganz gegenteilig
verhalten. Er kämpfte 1940 bei der belgischen Infanterie gegen den deutschen
Einmarsch. Nach der Besetzung Belgiens versuchte er zusammen mit einem
Freund in einem Kajak über den Kanal nach England zu kommen. Man hat
von beiden Freunden nie wieder etwas gehört. Trotz aller Suche, für die die
Mutter viel Geld aufgewendet hat, blieben sie vermisst."
Erst in jüngster Zeit wird auch in Belgien das bisherige Tabu gebrochen und
das Thema "Kollaborateure" öffentlich aufgearbeitet. So gab es im Dezember
2008 eine Fernsehsendung über Personen, die einen deutschen Soldaten zum
Vater haben. Dazu gehörte auch Christian Gillisjans.
26. Juni 2012
Frau Rosine De Dijn schreibt aus Belgien: |
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Das Jugendbataillon "Langemarck" II./SS-Rgt
67 war noch Ende des Krieges (März/April 1945) in der Lüneburger
Heide stationiert. Standort für Verpflegung und Ausrüstung war
Salzhausen. Aus den Informationen in Flandern weiß ich, dass das
sogenannte Aufstellungsgebiet der besagten Truppe in u.A.
nachfolgenden Dörfchen war: Toppenstedt, Hannstedt, BrackeI,
Marxen, Ramelsloh, Tangendorf u.s.w. Aber auch an anderen Orte der
weiteren Umgebung fanden diese Menschen Unterschlupf. Siehe auch
u.A. in Lüchow. Die örtliche Bevölkerung soll ein enger Band
gehabt haben mit den Leuten aus Flandern. Auch flämische Verwandte
(Eltern, Geschwister) der Ostfrontkämpfer waren in der gesamten
Gegend untergebracht.
Ich möchte im Zuge meiner Recherche für
ein Buchprojekt "März 1945" (Arbeitstitel) den "Lebensraum" in der
Lüneburger Heide und Umgebung kennen lernen und bin somit auf der
Suche nach Hintergrundmaterial (Tagebücher, Briefe,
Zeugenaussagen, Dokumente u.s.w.) über die sogenannte
"Flüchtlinge" aus Belgien, die im Herbst 1944 Hals über Kopf ihr
Land verlassen mussten auf der Flucht vor den Alliierten.
Ich habe bereits Kontakt aufgenommen mit sämtlichen Archiven aber
komme nur mühsamst voran. Ich suche nach Zeugenaussagen, Familien
die damals diese Soldaten oder ihre Verwandten aufgenommen haben,
nach Zwangsarbeitern, die dort in der Umgebung (Höfe, Fabrike
u.s.w.) gearbeitet haben u.s.w. Kurzum, nach überlieferten
"Geschichten". Auch flämische Mädchen waren damals als
Pflegepersonal (DRK) mit dabei.
Die Lüneburger Heide ist eine ländliche Gegend. Die Flamen haben
wohl bei Bauern gewohnt. Heute könnten noch mehrere entsprechende
Höfe existieren.
Vielleicht können Sie mir einige Spuren aufzeichnen?
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Ausführlich schildert Meinhard Kipplaß
die letzten Kriegswochen in Dannenberg (Bombenangriff) und Nebenstedt
(heftige Kämpfe).
Dannenberg März-April
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(Seite erstellt 2009-2012) |
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