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Das fahrende Haus von Christof Utech
Geschichte eines Busses
Fotos und Text von Andreas Distler |
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1957 entschließt sich Christof Utech (
vorherige Seite), sein Studium in
Marburg abzuschließen, um dann als Berufsschullehrer arbeiten zu
können. Er hat jedoch nicht vor, in Marburg eine Wohnung oder ein
Zimmer für sich, seine Frau und die Tochter zu mieten, um dort zu
wohnen. Er setzt sich vielmehr in den Kopf, einen alten Bus zum
Wohnen herzurichten. |
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Ein Bus der Firma "Gräf & Stift", Wien,
Baujahr 1939, wurde nach dem Krieg (1945) von Engländern an den
Spediteur Röhlsberger in Winsen/Luhe übergeben, um einen Linienbetrieb
aufzubauen. Das Fahrzeug fuhr bis ca.1954 auf der Linie Winsen/Luhe-
Niedermarsch. In der Zeit von 1945-48 war der Bus auf Holzvergaser
umgebaut.
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Es geht hier um dieses österreichische Busmodell. Auf dem Foto aus
www.Last und Kraft,
Heft 5-2005 wird der Bus als Neuwagen präsentiert. Wir verfolgen die
ungewöhnliche Geschichte eines Fahrzeugs dieser Serie bis zum Jahr 2008. |
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Ernst August Röhlsberger berichtet, dass es sich bei diesem Fahrzeug
um ein Beutefahrzeug handelte und der ehemaliger Fahrer Rudi Tenner
beschreibt den Motor als zu schwach für den schweren Bus. Das Fahrzeug
ist bis ca. 1954 Linie gefahren. Zum Schluss ist es aber nur noch als
Ersatzfahrzeug eingesetzt worden, weil es große Probleme mit den
Ersatzteilen gab |
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Außerdem hatte das Fahrzeug nur Schlagtüren. Dadurch
gab es ein Sicherheitsproblem, weil die Türen nicht immer richtig
geschlossen wurden. Der Bus wurde bis 1952 auch eingesetzt, um die
"Trümmerfrauen" von Winsen nach Hamburg zum Steinelesen zu befördern. |
Man beachte das hohe Eigengewicht von 6,3 t. |
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Im Jahr 1957 findet Christof Utech aus Lüchow das 18
Jahre alte Fahrzeug, ausrangiert auf einem Schrottplatz in Lüneburg. Wie
er das sperrige Gefährt in seinen Heimatort schafft und in welchem
Zustand es sich befindet, ist nicht überliefert. Utech entscheidet
jedenfalls, den Haubenbus zu einem Frontlenker umzubauen, um mehr
Wohnraum zu bekommen. |
Zustand des Fahrzeugs nach Ausbau des Haubenmotors 1957. |
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Utech ist bekannt dafür, dass er keine halben Sachen macht. Zunächst bockt er das
Fahrzeug auf und baut die Achsen aus. Im Anschluss daran wird die
Beblechung entfernt. Das Holzgerippe liegt nun nackt vor ihm.
Er verfügte über hervorragende Kenntnisse in der
Holzbearbeitung und restauriert das Skelett
sehr aufwendig und akkurat mit ausgesuchten Buchenhölzern. |
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Dabei verlängert er den Aufbau nach vorne und verwandelt den
ehemaligen Haubenbus in einen Frontlenker. Doch nicht nur der Aufbau
muss von ihm modifiziert werden. Auch der Fahrersitz, die Pedale, die
Handbremse, das Armaturenbrett und das Lenkrad müssen um zwei Meter
nach vorne versetzt werden. Den 100 PS Daimler-Benz-Motor ersetzt er
durch einen Vierzylinder Hanomag-Diesel-Motor. Der wird von ihm
jedoch nicht an die Stelle des alten Triebwerkes gesetzt, sondern er
baut ihn dort ein, wo bei Büssing-Fahrzeugen der Unterflur-Motor
sitzt, d. h. auf der rechten Fahrzeugseite zwischen die Achsen. Da die
Bauhöhe des Hanomag-Motors natürlich höher ist als die eines
Unterflurmotors, ragt er erheblich in den Wohnraum hinein. Der Motor
befindet sich vor dem Differenzial und einem kleinen Getriebe. Die
Kraftübertragung erfolgt über eine einfache Kette. Wie einige Fotos
zeigen, wird Utech tatkräftig von seiner Frau unterstützt. Bei ihren
Eltern, Wasle in der Neuen Straße in Lüchow, wohnt die junge Familie. |
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Christof Utech ist sich bewusst, dass er hier eine ganz ausgefallene
Idee verwirklicht. Er dokumentiert jeden Arbeitsschritt mit der
Fotokamera. Es gebührt ihm für diese Arbeit großer Respekt, wenn man
bedenkt, mit welchem geringen Budget und einfachen Maschinen er dieses Sonderfahrzeug baut. |
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Alle Metall- und Holzarbeiten werden von ihm selbst ausgeführt. Dabei
hat er keine modernen Werkzeugmaschinen zur Verfügung. Improvisation
ist angesagt. Fachmännisch baut er das Fahrzeug neu auf. Als Krönung
setzt er ein komplett neues Dach mit aufwendig zu fertigenden runden Spriegeln auf das Gerippe. |
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Zusätzlich montiert er an das Heck einen Koffer für Gasflaschen und
Werkzeuge. In diesem Stadium erkennt er jedoch, dass der zur Verfügung
stehende Stauraum des Fahrzeugs für seine Pläne zu klein ist. Warum er
nicht einfach einen Anhänger einplant, bleibt unklar. Er
entscheidet sich für eine kompliziertere Lösung und baut auf das wunderschön
gelungene Runddach ein Satteldach. |
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Die Arbeit nimmt die Freizeit einiger Jahre in Anspruch. Aber 1964
wird das Fahrzeug tatsächlich bewohnbar und reisefertig. Utech besitzt nun wohl eines der ersten
und vor allen Dingen größten Wohnmobile seiner Zeit. Mit seiner
Schöpfung fährt er nach Lüneburg und erhält dort eine Zulassung für das
Fahrzeug, die jedoch auf eine Geschwindigkeit von 25 km/h begrenzt ist.
Zurück in Lüchow verstaut er Hab und Gut sowie seine Familie in dem
Eigenbau und fährt die 330 km lange Strecke nach Marburg, um dort
sein Studium abzuschließen. Zwei Jahre lang lebt er mit Frau und Kind
in dem Wohnmobil. Sie haben eine feste Adresse und der Postbote findet
ihren Briefkasten. Geheizt und gekocht wird mit Holz und Kohle. Licht wird
mit Gaslampen erzeugt. |
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Winter in Marburg. |
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Blick vom Fahrersitz zum Wohnraum.
Weihnachten im eigenen Heim in Marburg.
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Fahrersitz und Lenkrad fallen kaum noch auf. Alles wird als Wohnraum
genutzt und Gardinen und Vorhänge verdecken die Frontscheibe.
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1966 geht es auf dem gleichen Weg zurück ins Wendland. Das Wohnmobil
wird danach nicht mehr genutzt. Als Familie Utech später das Grundstück
mit der alten Försterei in Rehbeck kauft, schafft sie den Boliden
dorthin. Christof Utech arbeitet bis zur Pensionierung in Lüchow als
Berufsschullehrer. Das solide Wohnmobil überdauert Wind und Wetter der
Jahrzehnte. Es dient den Kindern von Rehbeck als
Spielplatz. Letztlich wächst das Fahrzeug durch Kraut und Gestrüpp total zu und wird kaum noch
beachtet. |
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Im Jahr 2001 erfährt Andreas Distler aus Beesem durch einen Freund
von dem Wohnmobil. Als gelernter Karosserie- und Fahrzeugbautechniker
interessiert er sich natürlich auch für altes Blech und besichtigt den
Veteranen. Er erfährt, dass beide Utechs verstorben sind und das
Anwesen von der Tochter versteigert werden soll. Er entscheidet sich,
das Mobil vor der Verschrottung zu retten und bietet. Er erhält den Zuschlag und hat
nun ein größeres Problem.
Wie soll er das Gefährt aus seiner Lage befreien und zu seinem
Resthof in Beesem befördern?
Gemeinsam mit seinem Kollegen Holger
Rudolf legt er das Fahrzeug frei, bockt es auf, bläst Wind in die
Reifen, montiert eine Schleppstange an die Vorderachse und hängt
seinen 38 PS-Deutz davor. |
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„Du, da fährt ein Haus vorbei!“
Im Schritttempo
geht es voran, da das Gespann nur über die Bremsen des
Schleppers zum Stillstand gebracht werden kann. Besonders in Kurven
schiebt das geschleppte Fahrzeug den Trecker vor sich her. Einige
Dörfer müssen durchquert werden. Dabei beobachtet eine ältere Frau,
die vor ihrem Haus sitzt, das seltsame Gespann. Animiert durch das
Sattelschleppdach geht sie ins Haus und ruft: „Du, das fährt ein Haus
vorbei!“ Die Familie hat Mühe, sie zu beruhigen und wertet die
Aussage als Einbildung. Erst Tage später erfahren sie, dass Andreas Distler mit seinem Spezialtransport unterwegs war und
die Großmutter wird rehabilitiert.
Die Fahrt nimmt ein glückliches Ende.
Auf dem Hof in Beesem erhält das alte Wohnmobil einen Ehrenplatz. |
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Weitere Jahre vergehen.
Andreas Distler hatte nur die Absicht, das einmalige Gefährt vor dem
Schrotthändler und damit der sicheren Vernichtung zu bewahren.
Seine finanziellen Möglichkeiten, das Fahrzeug aufzuarbeiten sind
begrenzt. Außerdem kann man das Wohnmobil ernsthaft im heutigen
Straßenverkehr nicht bewegen.
So sucht er einen Interessenten, der Gefährt übernehmen möchte, um es im
Rahmen eines Museums oder einer ähnlichen Einrichtung der Nachwelt zu
erhalten und damit auch die Arbeit von Christoph Utech zu würdigen.
Tatsächlich findet er einen Liebhaber, der das "fahrende Haus" angeblich
renovieren und in Ehren halten will. Noch einmal wird es an einen
anderen Ort überführt.
Doch einige Zeit später sieht Andreas Distler durch Zufall das Ende und
sein Herz scheint ihm stillzustehen: |
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Wegen der sehr hohen Schrottpreise im Jahre 2008 wird dem Oldtimer
sein großes Gewicht an Stahl und Eisen zum Verhängnis. |
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Text: Nach Vorlagen von Andreas Distler und Manfred Koch
Veröffentlicht auch auf
www.powalski.com/
Fotos: © Christoph Utech, Andreas Distler
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In der Tour geht es in den 60er Jahren weiter zu einem kurzen Blick auf die
Politik
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(Seite erstellt im im Januar 2009) |