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Bitterwerder
1945 bis 1989
© Fotos und Informationen:
Heinrich Rücker |
Bereich
Zum Thema
Ton
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Bitterwerder, Deichvorland an der Elbe gegenüber vom Weinberg bei
Hitzacker.
Aufnahme im Sommer 2007.
Hier weiden Kühe, deren Milch und Fleisch
nicht ohne intensive Laborkontrolle in den Handel gebracht werden
darf, weil die elbnahen Weiden kontaminiert sind mit allerlei
Giftstoffen aus den Zeiten der Elbeverschmutzung - Zeiten, in denen
auch die Elbfische ungenießbar waren.
Heute kann man in der Elbe wieder gefahrlos baden, angeln und fischen.
Das soll aber hier nicht das Thema sein.
Auf der jetzt idyllischen Weide hatten Menschen ihr Zuhause, ihr seit
Generationen vererbtes Anwesen, ihre Arbeit, ihr Einkommen, ihr Leben.
Sie hingen daran.
Die Geschichte:
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Aufnahme von Bitterwerder 1974.
Links die gewerbliche Fischerei von Heinrich Hauel. In der Mitte ein Wohnhaus
mit vier Wohnparteien. Rechts das Gasthaus "Zur Kastanie".
Das Foto wurde von einem westdeutschen Zollboot aus aufgenommen kurz
vor der Zerstörung des kleinen Dorfes.
Man war im Westen informiert, was passieren würde. Trotz Willi Brand
und Walter Scheel, trotz Verträgen von Helsinki, trotz "friedlicher
Koexistenz" - die DDR ließ sich bei der Abschottung ihrer Grenze
keinen Kompromiss abringen.
Wir schauen weiter zurück: |
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Bitterwerder liegt, besser: "lag", dicht am Wasser, eigentlich in der Elbe, denn der stark
mäandrierende Fluss hat in den letzten Jahrhunderten oft sein Bett
verändert. Durch Sandablagerungen ist dieser Werder vor vielen
Jahrhunderten entstanden und auf
der Anhöhe, die bei Hochwasser gerade noch trocken bleibt, wurde
das große Gehöft gebaut, das hauptsächlich aus einem Gasthaus und
einer Fischerei bestand. Dazu ein weiteres Wohnhaus und
landwirtschaftliche Nutzgebäude. Hier legte die Fähre Hitzacker an, die auch
für Fuhrwerke zugelassen war. Das Gasthaus wurde nicht nur von den
Fuhrleuten gern aufgesucht, sondern hatte sich wegen der großen Schatten
spendenden Kastanie zu einem beliebten Ausflugsziel für die
Hitzackeraner und ihre Gäste entwickelt. Besonders wenn in Hitzacker
Gallusmarkt war, fanden im Gasthaus von Hauels große "Vergnügen"
statt. Der Saal war immer voll und "de jung Lüü' " wechselten gern
zwischen den Tanzveranstaltungen in Hitzacker und Bitterwerder hin und
her.
Heinrich Hauel betrieb seine gewerbliche Fischerei auf der Elbe und
Tochter und Schwiegersohn Heinrich Rücker hatten im Gasthaus ihr gutes Geschäft. Da
kam es schon mal vor, dass Frau Rücker 30 Aale am Tag servierte.
So war Bitterwerder bis 1945 ein Kommunikationszentrum, eine der
vielen Knotenpunkte in dem engmaschigen sozialen Geflecht zwischen den
Dörfern beiderseits der Elbe und auch in den Notzeiten nach 1945 hielt sich die Verbindung noch kurze Zeit.
Bald
wurde das Hinüber und Herüber durch russische Wachposten erschwert.
Die starken verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Seiten
der Elbe ließen aber so manchen Bewohner das Risiko in
Kauf nehmen, einige Tage inhaftiert zu werden. |
Das Gasthaus "Zur Kastanie". |
Haus des Fischers. |
Der Hof und das Gasthaus mit der großen Kastanie. |
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Opa Heinrich Hauel und seine Enkelkinder. |
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Mit den Jahren wird die Bewachung der Grenze schärfer, die Kontakte
hören auf. |
Herr Rücker baut die Pferdezucht aus und der Vergnügungssaal wird als
Kuhstall umgebaut. |
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In den drei Häusern wohnen zusammen acht
Wohnparteien, fast alles Familien mit Kindern, ... |
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... so dass hier 15 Kinder aufwachsen, die alle in den 50er Jahren im
schulpflichtigen Alter sind und in Bitter die Schule besuchen. Der Weg
ist nicht weit, aber ... |
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... wenn die Elbe so richtig Hochwasser führt, liegt Bitterwerder auf einer
Insel binnendeichs. Das bedeutet, dass alle Schüler täglich mit dem Kahn zum
Deich gebracht und nach der Schule wieder abgeholt werden müssen. Ebenso
werden natürlich auch alle Versorgungsgüter inklusiv Futter für die Tiere
per Kahn transportiert. Während das für die Erwachsenen eine häufig
wiederkehrende Erschwernis des Wirtschaftens bedeutet, ist den
lebensfrohen Kindern das Hochwasser ein Vergnügen und wenn die
Wasserfläche im Winter dann auch noch zufriert, beginnt der große Spaß des Rodelns vom Deich
aufs Eis. |
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Die Streuobstwiese, die häufig gänzlich unter Wasser steht, ist ein
Schatz für Bitterwerder. |
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Der Kiosk mit Imbiss, den Hauels direkt am Fähranleger seit den
dreißiger Jahren betrieben haben, wird bei Hochwasser unzugänglich. Da
aber auch bei Normalwasserstand kein Fähre mehr anlegt, ist er längst nicht mehr in Betrieb. |
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Bis Anfang der 70er Jahre pulsiert das Leben auf Bitterwerder wenn auch
zunehmend ruhiger, da manche Familien weggezogen sind. Die
Einschränkungen in der 5-km-Sperrzone entlang der Grenze, die von nicht dort
wohnenden nur mit besonderen Passierscheinen und zu Familienfeiern
aufgesucht werden darf, führen zu einer Weltabgeschiedenheit und die meisten
Bürger der DDR erfahren nichts über die Vorgänge am Elbufer.
Es
besteht ein nächtliches Ausgehverbot. Wer bei Dunkelheit noch im Nachbardorf
bei Freunden feiert, muss dort übernachten. Immerhin erhalten die
Einwohner dieser Dörfer im Grenzstreifen einen monatlichen
Sperrzonenzuschlag von 90 Mark.
Anfang der 70er Jahre wird die Sperrzone auf
500 Meter reduziert, aber die Bewachung und Befestigung des "eisernen
Vorhangs" wird noch konsequenter ausgebaut. |
MZ 150 Schopau und Schwalbe (DKW). |
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Im Uferbereich um Bitterwerder sind zahlreiche scharfe Wachhunde
"stationiert".
Ab 1972 wissen die Einwohner von Bitterwerder, dass die
DDR-Regierung bei ihren Maßnahmen, die Grenze
überall und vollständig unüberwindbar zu machen, nicht nachlassen wird. Es soll ein massiver
Zaun auch am Elbufer errichtet werden und zwar auf dem Deich. Zwischen
Deich und Ufer soll kein Gebäude und kein Baum die Sicht der
Wachposten behindern.
Rückerts versuchen es mit verhandeln: "Zäunt
uns doch ein!" Sie wollen hier nicht weg. Alle Ersatzwohnungen, die
ihnen angeboten werden, lehnt Frau Rücker als unzumutbar ab.
Auch die
Familien, die als Vertriebene 1945 aus dem Osten hier herkamen,
verstehen die Welt nicht mehr. Wieder werden sie vertrieben. Im
Frühjahr 1974 erhalten sie ein Ultimatum und erbitten sich, Ostern
noch zuhause feiern zu dürfen. Danach müssen sie ihren Umzug selbst
organisieren und mit einem kleinen Lastwagen bringen sie ihr Hab und
Gut zur neuen Unterkunft.
Dann kommen die Bagger. |
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Nichts bleibt stehen - die Kastanie nicht und die Obstbäume nicht und
selbst die kleine Anhöhe, die das Anwesen von Bitterwerder vor
Hochwasser schützte, wird um einen Meter abgetragen. |
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Blick vom Weinberg in Hitzacker auf Bitter und Herrenhof. Alle
Gebäude von Bitterwerder sind verschwunden. Der massive Grenzzaun auf dem
Deich vor den Häusern ist nur bei starker Vergrößerung des Fotos zu
erkennen. Am ehemaligen Fähranleger liegt ein Boot der
DDR-Grenztruppen. Der hölzerne Wachturm wird wenig später durch einen
hohen Betonturm ersetzt. |
© Zollhaus |
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Der Zaun auf dem Deich hält 15 Jahre stand.
Doch dann kommt das Jahr
1989. Und als am Abend des 9. November die Nachrichten sich überschlagen,
denkt in Hitzacker wohl jeder: "Haben wir ein Schiff, das Morgen
rüberfahren kann?"
Die "MS Drawehn" ist kurzfristig bereit. Aber ganz so schnell geht es
noch nicht. Zunächst ist eine Verständigung mit den Menschen von
Bitter und Herrenhof nötig. Wo kann drüben ein Schiff anlegen? Eine
Testfahrt ist notwendig. Aber am 19.November kann Herr ?? das
Tor öffnen und die Menschen der umliegenden Dörfer strömen zur Fähre,
um erstmals nach 40 Jahren "auf Hitzacker zu gehen". |
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(Seite erstellt im Januar 2008) |